Der Große Trachtenaufmarsch 1930 in Rosenheim
Auszug aus dem Anhang 1 der Historie der Trachtenbewegung in Rosenheim verfasst von Willi Guhl
Bis in die 30ger-Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Trachtenbewegung, trotz aller Widrigkeiten, stetig und so keimte der Wunsch auf, Kraft und Stärke der Trachtenbewegung auch nach außen sichtbar zu machen. Der Vorsitzende der Vereinigten Trachten-Gauverbände, Thomas Bacher aus Westerham, rief seine 13 Verbände mit ca. 24.000 Mitgliedern zum ersten gemeinsamen Trachtenaufmarsch nach Rosenheim, einer Trachtenhochburg nicht nur in der damaligen Zeit.
Mit der Ausrichtung werden die damals drei Rosenheimer Trachtenvereine: Stammverein, Alt Rosenheim und Innviertler, beauftragt.
Thomas Bacher, Westerham | Mathias Krämer, Alt Rosenheim |
Alois Machfelder, Stammverein | |
Josef März, Alt Rosenheim |
Hans Vilsmeier, Stammverein | Josef Demegni, Innviertler |
Hans Thaller, Stammverein |
Um die Ausrichtung bewarben sich die Städte München, Holzkirchen, Bad Tölz, Miesbach und Rosenheim. Für Rosenheim sprach, neben der großen Erfahrung der örtlichen Vereine in der Durchführung von Trachtenfesten, vor allem die verkehrstech-nisch einmalige Lage der Stadt am Inn. Nicht weniger als fünf Bahnlinien der Reichsbahn führten nach Rosenheim, ebenso 11 Buslinien.
So kam es, dass zum Festsonntag am 17. August 1930, über 10.000 Trachtler nach Rosenheim kamen, etwa die Hälfte davon in 26 Sonderzügen der Reichsbahn. Auf Parkplätzen vor der Stadt standen 80 Omnibusse und Lastkraftwagen.
Das Fest selbst war eine „Heerschau der Trachtler“ und wurde zu einer Demonstration und Werbung für die Trachtensache.
Am Vorabend fanden große Heimatabende mit offiziellen Ansprachen, Festkonzerten, Plattlern, historischen Tänzen und Gesangsdarbietungen der Gewinner des ersten oberbayerischen Preissingens in Egern statt. Auch der Volksmusikvater Kiem Pauli trat auf. Die Heimatabende fanden gleichzeitig statt und nur die Akteure wechselten zwischen dem Pernlohnerkeller, Flötzingerkeller und Auerbräukeller, während die Zuschauer vor Ort blieben. Der Eintritt betrug 30 Pfennig Zuschlag auf das Festzeichen.
Das Festzeichen zum Trachtenaufmarsch kostete 50 Pfennig. Es wurde von den Vereinsmitgliedern der ausrichtenden Vereine verkauft, die ständig unterwegs waren. So erklären sich auch die relativ wenigen Vereinsmitglieder auf den Fotos vom Kirchenzug und dem Festzug. Bereits am Sonntagmorgen waren 12.000 Festzeichen ausverkauft und man musste sich mit Ersatzzeichen behelfen. Das Festzeichen zum Trachtenaufmarsch hat heute einen hohen Sammlerwert.
Die Organisation des Aufmarsches am Festsonntag, 17. August, war eine Meisterleistung und der Kirchenzug zur Feldmesse auf die Loretowiese wurde noch übertroffen von dem, über einstündigen Festzug durch die InnStadt mit über 10.000 Trachtler aus 300 deutschen und österreichischen Vereinen und 29 Musikkapellen vor cirka 20.000 Zuschauern.
Die Festzugseinteilung war folgende:
1. | Festmusik Niklasreuth |
2. | Festausschuss, Ehrengäste |
3. | GTV „Stammverein“ Rosenheim |
4. | GTV „Alt“ Rosenheim |
5. | GTV „Innviertler“ Rosenheim |
Die weitere Zugfolge entsprach dem Gründungsjahr des jeweiligen Gauverbandes:
Gauverband I mit 11 Zügen und 105 Vereinen, 12 Kapellen |
Oberländer Gau mit 3 Zügen und 37 Vereinen, 3 Kapellen |
Inngauverband mit 2 Zügen und 23 Vereinen, 2 Kapellen |
Gauverband II mit 20 Vereinen, 1 Kapelle |
Lechgau-Verband mit 15 Vereinen, 1 Kapelle |
Oberer Lechgau mit mehreren Vereinsvertretungen |
Allgäuer Gauverband mit 12 Vereinen, 2 Kapelle |
Loisachgau mit 9 Vereinen, 1 Kapelle |
Isargau mit 23 Vereinen, 2 Kapellen |
Bodensee Gau, mit 5 Vereinen |
Donau Gau mit 15 Vereinen, 1 Kapelle |
Reichsverband Österreich und Tiroler Vereine mit 9 Vereinen, 1 Kapelle |
Altbayer. Schwäbischer Gau mit 600 Trachtlern versch. Vereine, 1 Kapelle |
Südwestdeutscher Gauverband mit 8 Vereinen |
Vereinigung links der Donau mit 22 Vereinen, 1 Kapelle |
Der Trachtenaufmarsch hätte ohne eine breite mediale Unterstützung nicht einen derartigen Erfolg gehabt. Die lokale und überregionale Presse, sowie der Rundfunk berichteten, bereits im Vorfeld der Veranstaltung, ausführlich darüber. Auch das damalige Presseorgan der Trachtenverbände, der Oberländer-Heimatbote, war maßgeblich beteiligt.
Das Fest wäre ohne die Unterstützung der heimischen Wirtschaft und der Stadt Rosenheim nicht durchführbar gewesen. In nebenstehendem Willkommensgruß des rechtskundigen 1. Bürgermeister der Stadt Rosenheim, Dr. Knorr, im Oberländer-Heimatboten ist die Vorfreude auf das Ereignis zu spüren. Überhaupt herrschte im gesamten Stadt- und Landkreis Rosenheim gespannte Erwartung. Zahlreiche Festteilnehmer wurden sowohl in Rosenheim als auch den Nachbargemeinden (Westerndorf St. Peter, Langenpfunzen, Pfaffenhofen, Fürstätt, Kolbermoor, Pang, Aising, Happing, Raubling, Nicklheim, Schloßberg, Gehering und Prutting) einquartiert.
Vom Fest selbst gibt es nur wenige Film und Fotodokumente. Offiziell beauftragt, Fotos zu erstellen, war nur der Illustrationsverlag Wissmann, München. Es gab aber noch weitere Fotografen wie Foto M. Wich, München, A. Wiedemann, München, usw. die Fotografien erstellten und an Interessierte verkauften. Private Fotografien gibt es nur spärlich, denn kaum jemand verfügte über entsprechende fotographische Gerätschaften. Filmisch dokumentiert wurde u.a. von den Kopp-Filmwerken, München und der Reichsbahnzentrale für den deutschen Reiseverkehr, Berlin. In allen deutschen Kinos wurde mehrere Wochen lang von der Deulig Wochenschau der folgende Kurzbericht gezeigt:
Bereits der Kirchenzug zur Feldmesse auf der Loretowiese am Vormittag war von tausenden Zuschauern gesäumt.
Bei der Predigt im Feldgottesdienst sagte Geistlicher Rat Lidl: „Trachtenvereine stehen heute um den Altar und man erkennt, sie tragen die Tracht der Sinnlichkeit und der Ehrbarkeit“ und in Anspielung auf die politische Situation in der damaligen Zeit fuhr er fort: „Es gibt Leute, die dem armen Volke helfen wollen, aber es gibt auch andere, die alles niederreißen wollen, was noch an Ordnung vorhanden ist“.
Immer wieder wird die Zahl von 400 Fahnen während der Feldmesse auf der Loretowiese bezweifelt, waren offiziell doch nur gut 300 Vereine anwesend. Tatsächlich jedoch hatten viele Vereine wegen der herrschenden Weltwirtschaftskrise, auch aus Kostengründen, nur Fahnenabordnungen geschickt, die im Kirchen- bzw. Festzug bei ihrem Gau, oder teilweise in Fahnenblöcken marschierten.
Der nachfolgende, über 1-stündige Festzug durch die InnStadt war eine Demonstration der Trachtenbewegung.
Der Tiroler Trachtenverein aus Hopfgarten zeigte die original Tiroler Kriegsfahne, unter der die Tiroler, angeführt von Andreas Hofer, gegen die Franzosen und deren verbündete Bayern kämpften.
Der Volkstrachtenverein „Isartaler“ Landshut (2. Zug, Verein 29) kam in Kostümen der Landshuter Hochzeit, und in Empire-, Rokoko- und Biedermeiertracht, sowie in alter wie neuer niederbayerischer Tracht.
Kinder waren beim Trachtenaufmarsch, wie bei anderen Trachtenfesten auch, nicht zugelassen. Allerdings war bei der Vielzahl der teilnehmenden Vereine eine große Zahl von Taferlbuam erforderlich. Auch trugen Trachtenkinder den einen oder anderen Sinnspruch einem Verein voran. Insofern war das Gebot unterlaufen.
Der Große Trachtenaufmarsch fand in der Presse uneingeschränkte Sympathie. Er brachte in der Folge der Trachtenbewegung große öffentliche Anerkennung, sowohl in der Bevölkerung, als auch bei der Kirche und den Behörden.
Unter gänzlich anderen Vorzeichen stand drei Jahre später der Trachtenaufmarsch 1933 in München. War es in Rosenheim noch der Trachtenverband selbst, der zu einem Fest der Trachtenbewegung einlud, so war es in München der Staat, in der Person des Staatsminister Esser (NSDAP), der die Trachtler zum Trachtenaufmarsch nach München „befahl“. Die gewaltige Zahl von 19.000 Trachtlerinnen und Trachtler folgte dem Befehl. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die Gleichschaltung manifestierte sich im Vorbeimarsch des Trachtenzuges vor den Ehrengästen aus Regierung und Partei auf der Freitreppe des Nationaltheaters, einer Kranzniederlegung für die Gefallenen der nationalsozialistischen Bewegung an der Feldherrnhalle und der Abschlusskundgebung auf dem Königsplatz. Hier ermahnte Staatsminister Esser die Trachtler: „zu einer Zeit, wo Heimat- und Vaterlandsliebe wieder etwas gelten, da können die Trachtler nicht beiseite stehen, da müssen sie mit eintreten und ihr Bekenntnis ablegen zum neuen Staat“. Die Zeiten des unbeschwerten Brauchtums waren vorbei und es begann eine schwere Belastungsprobe mit massiver politischer Einflussnahme und organisatorischen Repressalien durch das NS Regime für die eigentlich politisch und konfessionell neutrale Trachtenorganisation.
Rosenheim im Februar 2021 WG
Deulig Wochenschau - Trachtenaufmarsch 1930
Quellen:
Texte exzerpiert aus Rosenheimer Anzeiger (heute OVB), Oberländer Heimatbote (heute HTB), verschiedene Gau- und Vereinschroniken, Protokollbuch Trachtenverein Alt Rosenheim e. V.
Fotos vom Stadtarchiv Rosenheim, Historischer Verein, Bildarchiv Alt Rosenheim
Wochenschaufilm vom Bundesarchiv